Pilgern in geistigen Landschaften – Sozioreligiöse Praxis in der Dichtung des Venantius Fortunatus
Venantius Fortunatus' Dichtung ist ein lohnendes Beispiel für die Rolle von Resonanz in künstlerischen Texten. Der Dichter stiftet eine geistige Landschaft für das fränkische Gallien des sechsten Jahrhunderts, speziell für die latinophonen Rezipienten, die dort leben. Um das zu tun, dichtet er über Realien des fränkischen Gallien (Orte, Gebäude, Personen) und über religiöse Rituale des katholischen Christentums. Seine Dichtung stellt in dieser Kombination etwas grundlegend Neues dar: fränkisch-gallische, frühmittelalterliche Dichtung, als deren Archeget er von späteren Dichtern (Alcuin, Hrabanus Maurus) rezipiert wird.
Wie Venantius Fortunatus' Dichtungen durch diese Bezugnahme auf fränkisch-gallische Realien und Rituale mit seinen Rezipienten in Beziehung treten, werde ich an zahlreichen Beispielen untersuchen. Die Untersuchung ist also vor allem eine Untersuchung der Technik des Resonanzstiftens in der Literatur. Folgende Aspekte werden dabei eine Rolle spielen: Die Selbsterfindung des Dichters als Pilger im Vorwort der carmina und im Nachwort der vita Sancti Martini, die Bedeutung von Gelegenheitsgedichten in der fränkisch-gallischen Kultur, Francogallien als erfahrbarer Raum in seiner Dichtung.
Ein besonderer Fokus soll auf der Untersuchung der Gedichte liegen, die Bezug auf religiöse Rituale nehmen. Das sind z. B. die Gedichte, die als geistliche Lieder Verwendung fanden, die Kreuzgedichte und die vita Sancti Martini, die womöglich als Grundlage für christliche Meditation verwendet wurden. Ich will insbesondere untersuchen, wie die Gedichte in ihrem Ritualkontext funktionieren. Die vita Sancti Martini ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, da der Dichter sein Epos womöglich eng an den bildlichen Darstellungen der Martinsgeschichte in Martinskirchen gebildet hat; das Verhältnis Kirchengebäude – Ritual – Gedicht ist also zu untersuchen.
Ein möglicher Gewinn im Rahmen des Forschungsprojekts „Resonante Weltbeziehungen“ wird die Beleuchtung von künstlerischen Texten als resonanten Dingen an sich sein. Texte stellen hier einen Sonderfall dar, da sie im Universum von Intertextualität/-medialität und durch ihren innewohnenden ästhetischen Reiz vielfältig resonant interagieren. Ich erhoffe mir, am Beispiel von Venantius Fortunatus' Dichtung Resonanz in künstlerischen Texten genauer beschreiben zu können.