Vom 30. Mai bis zum 1. Juni 2013 fand in Göttingen die 32. Große Mommsen-Tagung „Landschaften-Umwelten in der klassischen Antike“ statt, an die sich die traditionelle Mitgliederversammlung der Mommsen-Gesellschaft anschloss. Neben insgesamt 126 registrierten Mitgliedern und Jungmitgliedern der Gesellschaft besuchten auch Studierende altertumswissenschaftlicher Fächer die Vorträge. Der öffentliche Abendvortrag von S. Rebenich am 31. Mai lockte ca. 250 Besucher in die neu renovierte historische Aula der Universität am Wilhelmsplatz. Bedingt durch das anhaltend schlechte Wetter fand die Sektion Landschaften-Umwelten IV nicht wie geplant als Geländebegehung des Römerlagers Hedemünden statt, sondern wurde in das zugehörige Museum in Hannoversch Münden verlegt. Tagungsprogramm als PDF herunterladen

Eroeffnung

Drei Sektionen (8 Vorträge) behandelten aus der Perspektive von Klassischer Philologie, Klassischer Archäologie und Alter Geschichte das Oberthema der Tagung „Landschaften- Umwelten in der griechisch-römischen Antike“. L. Thommen (Alte Geschichte, Universität Basel) eröffnete mit einem Überblick über Theophrast und dessen Werke zur antiken Botanik und stellte die Frage nach einer antiken ‚Ökologie‘. Mit der Wahrnehmung exotischer Pflanzen am Roten Meer und der Erforschung ihres Lebensraumes in hellenistischer Zeit befasste sich P. Schneider (Alte Geschichte, Université d´ Artois). S. von Reden (Alte Geschichte/Freiburg) führte die Zuhörer in ihrem Vortrag ebenfalls in den Machtbereich der Ptolemäer. Sie erläuterte die unterschiedlichen Funktionen des Wassers im ptolemäischen Ägypten. Hier zeigte sie lokale und kultische Einflüsse auf Wasserpolitik sowie für die symbolische Funktion von Wasserlandschaften auf und wandte sich gegen die „hydrologische Zentralstaatstheorie“. Zwei archäologische Vorträge befassten sich mit dem Hinterland griechischer Siedlungen in Italien: L. Baumer (Klassische Archäologie/Genf) berichtete über ein neues Survey-Projekt in Stadtgebiet und Umland des antiken Kroton in Kalabrien. Über die Zwischenergebnisse eines Surveys in Sizilien zur Erforschung des Hinterlands von Gela und Agrigent referierte J. Bergemann (Klassische Archäologie/Göttingen). Er betonte die wichtige Rolle sakraler Orte als Kontaktzonen zwischen griechischen Einwanderern und den einheimischen Bewohnern des Hinterlandes. Ein dritter geographischer Schwerpunkt lag im Schwarzmeergebiet. A.-C. Dan berichtete über neuere Forschungen des DAI in Zusammenarbeit mit dem CNRS und dem Staatlich Historischen Museum Moskau im Bereich der Halbinsel von Taman und der dort gelegenen griechischen Kolonien. Im Anschluss entwickelte M. Helzle (Klassische Philologie/Wertheim a. M.) in Auseinandersetzung mit Ovids Exildichtung das Bild von Ovid, der die Landschaft seiner Verbannung in Tomi am Schwarzen Meer als „Un-Welt“, als Anti-Italien erfahren habe. R. Kirstein (Klassische Philologie/Tübingen) stellte die Metamorphosen Ovids ins Zentrum seiner Ausführungen. Er definierte hierbei Landschaft als Kombination unterschiedlicher Natur-Elemente, die zu einem übergreifenden Ganzen eigenen Rechts integriert würden. Landschaft sei infolgedessen stets ein subjektiv erstelltes Konstrukt, welches nur in der Wahrnehmung existiere. Ein dritter Vortrag von F. Witek (Klassische Philologie/Innsbruck) zum Thema ‚Heimat und Heimatlandschaft‘ musste wegen Erkrankung leider entfallen.

Auf der 32. Großen Mommsen-Tagung wurde außerdem der Blick auf ‚Aktuelles‘ in den Altertumswissenschaften gelenkt: Der Nachmittag des zweiten Veranstaltungstages bot Raum für zwei Sektionen „Aktuelle Forschungen“. Hier hatten Mitglieder der Mommsen-Gesellschaft e.V. unabhängig vom Oberthema der Tagung die Möglichkeit – wie in früheren Jahren üblich – über ihre jüngsten Projekte zu berichten. Dieses Angebot fand breites Echo bei den Mitgliedern und spannte für die Zuhörer in fünf Vorträgen einen weiten thematischen, chronologischen und methodischen Bogen von der archaischen Zeit bis in die Spätantike. P. Grossardt (Klassische Philologie/Leipzig) interpretierte die Erzählung von der Blendung Homers am Grab des Achilleus als im Gebiet von Lesbos entstandene Erzählung (charter myth) aus archaischer Zeit; S. Moraw (Klassische Archäologie/Berlin) vertrat die These einer spezifisch ambivalenten Charakterisierung des Odysseus auf archäologischen Darstellungen der Spätantike. Ch. Zgoll (Klassische Philologie/Göttingen) legte eine Neuinterpretation der Horazode 3.30 vor: Der Dichter beanspruche in dieser Ode einen (noch) dauerhafteren Ruhm für seine Werke, als dem berühmtesten Bronzewerk der Antike, dem gestürzten Koloss von Rhodos und den Pyramiden beschieden sei. U. Tischer (Klassische Philologie/Potsdam) erläuterte ihre Arbeiten zu Theorie und Praxis des Zitierens in römischer Prosa, und W. Rieß (Alte Geschichte /Hamburg) stellte sein neues Projekt einer Datenbank zur Gewalt in Griechenland und Rom vor.

Die neu eingeführte Sektion „Strukturen und Methoden in den Altertumswissenschaften“, welche nach Möglichkeit auch in Zukunft bei den Mommsen-Tagungen ihren Platz haben soll, widmete sich ebenfalls den Möglichkeiten und Veränderungen, welche die verstärkte Entwicklung computergestützter Verfahren und die Digitalisierung der Text-und Bildressourcen für die Arbeit der Altertumswissenschaften mit sich bringt. Hier stellte Ch.Schubert (Alte Geschichte/Leipzig) und ihr Team (R. Kath; M. Rücker) das digitale Tool ‚e-AQUA‘ (Extraktion von strukturiertem Wissen aus antiken Quellen für die Altertumswissenschaften) vor, welches neue methodische Zugänge zu Begriffsgeschichte und Quellenkritik eröffnen kann. Für den verhinderten M. Rehbein waren kurzfristig B. Jussen und seine Mitarbeiterin S. Schwandt (Mittelalterliche Geschichte/Frankfurt) eingesprungen. Sie zeigten die Möglichkeiten eines weiteren digitalen Tools auf: Das Projekt HSCM (Historical Semantics Corpus Management) hat die Funktion eines annotierten Lexikons, welches die Chronologie und Häufigkeit einzelner Wörter und Phrasen in ausgewählten Corpora sichtbar machen kann. M. Lang (Klassische Archäologie/e-science Center/Tübingen) wies schließlich in seinem Vortrag „Objekt – Raum – Zeit“ auf die Problematik fehlender allgemeiner Standards und verbindlicher Metadaten-Organisation bei der digitalen Aufnahme archäologischer Befunde hin und mahnte deren Entwicklung unter Einbeziehung altertumswissenschaftlicher Expertise an.

Im Anschluß an die Sektion – Ch. Schubert/Leipzig hatte sich bereit erklärt, hier als Kontaktperson zu fungieren –, konstituierte sich eine Gruppe von Mitgliedern unter dem vorläufigen Namen „AG Digital Humanities in den Altertumswissenschaften“ und diskutierte Möglichkeiten, die Interessen der Altertumswissenschaften in diesem Bereich zu wahren und den Vorstand der Mommsen-Gesellschaft e.V. entsprechend zu unterstützen.

Erfreuliches Echo fand - ebenfalls am ersten Abend der Tagung - auch das Treffen der Jungmitglieder der Mommsen-Gesellschaft, zu welchem Jungmitglieder aus Göttingen in Zusammenarbeit mit der Doktorandeninitiative ANG (Althistorisches Netzwerk Göttingen) eingeladen hatten. Hier standen Möglichkeiten der Förderung und Vernetzung altertumswissenschaftlicher Doktoranden im Mittelpunkt.

Im Rahmen der Mitgliederversammlung wurde der Bruno-Snell-Preis 2013 verliehen. Die Jury der Mommsen-Gesellschaft hatte den Preis auf Vorschlag des Mitglieds B. Bleckmann/Düsseldorf an Herrn Dr. Johannes Wienand/Düsseldorf vergeben für seine Dissertation „Der Kaiser als Sieger. Metamorphosen römischer Herrschaftsrepräsentation zwischen Principat und Spätantike“. 

Festvortrag

Der Höhepunkt der Tagung 2013 fand in der Historischen Aula der Georg August Universität statt: Der Berner Althistoriker S. Rebenich sprach im öffentlichen Abendvortrag zum Thema:  Altertumswissenschaften zwischen Kaltem Krieg und Studentenrevolution. Zur Geschichte der Mommsen-Gesellschaft von 1950-1968. Rebenich hatte für seinen Vortrag erstmals auf die Akten des kürzlich in die Bayerische Staatsbibliothek München überführten Archivs der Mommsen-Gesellschaft zugreifen können und stützte sich außerdem auf Interviews mit Zeitzeugen. Er betonte u.a. die Bedeutung der Mommsen-Gesellschaft in der Nachkriegszeit, in der die Gründer des Verbands (Bruno Snell/Hamburg und der im Nationalsozialismus aus rassischen Gründen verfolgte Kurt Latte/Göttingen) sich für die Wiedereingliederung der deutschen Altertumswissenschaften in die internationale Community einsetzten. Der Vortrag bildete den Auftakt zur weiteren Erforschung der Geschichte der Mommsen-Gesellschaft als eines Verbands, der die Wissenschaftskultur der Bundesrepublik nachhaltig mitgeprägt hat.

Für die Veranstalter: Prof. Dr. Tanja Scheer