Wieviele Leben hat ein Text? Neue Perspektiven auf die Überlieferungsgeschichte antiker christlicher Schriftquellen
CALL FOR PAPERS
Wieviele Leben hat ein Text?
Neue Perspektiven auf die Überlieferungsgeschichte
antiker christlicher Schriftquellen
AK-Patristik Tagung 2024
14.-16.03.2024, Augsburg
Mit dem bewusst breit gefassten Thema der nächsten Nachwuchstagung wollen wir eine
Fragestellung in den Blick nehmen, die auf irgendeine Weise jeder Beschäftigung mit pa-
tristischen und (christentums-)geschichtlichen Quellen zugrunde liegt. Wer überliefe-
rungsgeschichtlich arbeitet, fragt nach historischen (Text-)Gestalten, Vermittlern, Inte-
ressen und Gegebenheiten, deretwegen (schriftliche) Zeugnisse aus der Antike überhaupt
auf uns gekommen sind. Überlieferungsgeschichtliche Zugänge sind deshalb mitunter dis-
ruptiv: Sie stören die Fiktion eines sauberen Textes, der sich gedruckten Ausgaben ent-
nehmen ließe, machen seine Geschichte stark, die ansonsten meist in die Einleitungen ein-
schlägiger Werkausgaben verbannt ist, rücken spätere Eingriffe in den Text aus dem kri-
tischen Apparat in den Fokus und lassen überhaupt nach Überlieferungsinteresse und -
zufall, Überlieferungsverlust und -selektivität fragen.
Die Tagung möchte dazu ermuntern, ausgehend vom eigenen Qualifikationsprojekt oder
einem anderen Forschungsvorhaben gezielt überlieferungsgeschichtlichen Perspektiven
nachzugehen. Dabei lassen sich beispielsweise folgende Fragestellungen und Aspekte in
den Blick nehmen:
1. Voraussetzungen der Überlieferung: Welche Kontexte und institutionellen Vorausset-
zungen von Überlieferungsprozessen (Bibliotheken, Archive) lassen sich – in konkre-
ten Fällen oder für bestimmte Orte und Zeitabschnitte – erschließen? Was sind die
materiellen Bedingungen der Überlieferung (material turn) und welche Praktiken lie-
gen dem Überlieferungsgeschehen zugrunde (practical turn)?
2. Fallbeispiele: An konkreten Fallbeispielen lässt sich aufzeigen, wie die Überlieferung
eines Textes methodisch verantwortet nachvollzogen werden kann. Dabei stellt sich
die Frage nach Anhaltspunkten für die Rekonstruktion älterer Überlieferungsstatio-
nen eines Textes genauso wie diejenige nach den der Überlieferung zugrunde liegen-
den Interessen und Zeitgegebenheiten. Ausgangspunkt sollte dabei jeweils ein antiker
Text sein; selbstverständlich kann jedoch die Überlieferungsgeschichte eines solchen
Textes bis hin zu seiner Edition im Fokus des Beitrags stehen. Editionsgeschichtliche
Fragestellungen selbst können in die Tagung eingebracht werden, wenn sie von be-
sonderem überlieferungsgeschichtlichem Interesse sind.
3. Sammlungen: Überlieferungsgeschichtlich nicht selten aufschlussreich ist die Frage,
mit welchen Texten ein Text zusammengestellt – und auch: aus welchen Kontexten er
wieder gelöst – wird. Dabei geraten, etwa für kirchenrechtliche Texte und Briefe, auch
gezielt zusammengestellte Sammlungen in den Blick, die ihrerseits oft eine eigene und
mitunter stark verzweigte Überlieferungsgeschichte aufweisen.
4. Übersetzungen: Übersetzungen – etwa aus dem Griechischen ins Lateinische und in
orientalische Sprachen – sind wesentlicher Teil der Überlieferung antiker christlicher
Texte. Etliche unter ihnen sind uns nur in Übersetzung erhalten. Auch hier ist nach
Vorbedingungen, Übersetzungsinteresse als Überlieferungsinteresse und Gründen für
den Werkverlust in der Ausgangssprache zu fragen. Auch stellt sich die Frage wie
Übersetzungen den Wissensbestand der Texte sowie die Zielsprache und -kultur ver-
ändert haben, etwa weil neue Sprachbilder oder Neologismen gefunden werden muss-
ten.
5. Sekundäre Kontexte und „Fälschungen“: Der Transfer von Texten in neue Kontexte
kann vielfältige Veränderungen hervorrufen. Inwiefern verfremden „sekundäre“
Überlieferungskontexte die ursprünglich mit einem Text verbundene Autoreninten-
tion? Führt die Zusammenstellung bereits vorhandener Texte in der Überlieferung zu
einer neuen Verwendung – etwa als publizistischer „Waffe“? Wie verändert sich das
überlieferte Wissen selbst durch Neukontextualisierung, Auslassung und Ergänzung?
Vor dem Hintergrund eines anderen Begriffs von Urheberschaft und Authentizität
lässt sich darüber hinaus fragen: Was passiert bei Zitaten und Anspielungen? Welche
Bedeutung kommt der Pseudepigraphie zu? Und inwiefern werden bei (antiken) „Fäl-
schungen“ überlieferungsgeschichtliche Kontexte konstruiert (etwa durch vermeint-
liche Archiv- oder Kanzleivermerke), um die vermeintliche Authentizität des Textes
zu unterstreichen?
6. Textgeschichte und Überlieferungsgeschichte: Etablierte editionsphilologische Axiome
(lectio brevior – lectio antiquior etc.) sind oft ohne Bezug zum konkreten Überliefe-
rungsbefund und zur möglichen Überlieferungsgeschichte der Textzeugen formuliert.
Deren Rekonstruktion kann mitunter textkritische Entscheidungen zusätzlich plausi-
bilisieren oder korrigieren oder sogar bisher nicht beachtete Zusammenhänge zwi-
schen Textzeugen aufzeigen. Beiträge, die das Verhältnis von Textgeschichte und
Überlieferungsgeschichte – unter Rückgriff auf Fallbeispiele – reflektieren, sind des-
halb ebenfalls erwünscht.
7. Übergeordnete Fragestellungen: In stärker synthetischen Beiträgen kann reflektiert
werden, inwiefern Überlieferungsgeschichte zur Rehabilitierung späterer Textstufen
beitragen kann, die bei der Suche nach dem „ältesten Text“ zwangsläufig unter den
Tisch fallen. Erwünscht sind außerdem Beiträge, die Überlieferungsgeschichte als Teil
einer polydimensionalen Kirchen- bzw. Christentumsgeschichte stark machen. Des
Weiteren lässt sich in einem eher theoretischen Blickwinkel nach Zusammenhängen
und Abgrenzungen zwischen Textgeschichte, Überlieferungsgeschichte und Rezepti-
onsgeschichte fragen. Schließlich sind wissenschaftsgeschichtliche Beiträge zum
Thema der Tagung willkommen.
Die Tagung soll eine strukturierte Diskussion solcher und verwandter Fragestellungen
und Forschungsansätze ermöglichen. Sie richtet sich an den patristisch interessierten
wissenschaftlichen Nachwuchs (Promotionsphase, PostDocs) – insbesondere aus Theolo-
gie, Klassischer Philologie, Alter Geschichte, der Wissenschaft vom christlichen Osten, der
Byzantinistik, der Judaistik und Arabistik sowie verwandter Fächer. Da keine gesammelte
Veröffentlichung der Beiträge geplant ist, ist die Vorstellung von Qualifikationsvorhaben
unproblematisch; außerdem darf gerne experimentiert und „out of the box“ gedacht wer-
den.
Vorgeschlagen werden können Vorträge (20 min mit anschließender Diskussion) und
Workshops (1,5 h) – letztere vor allem zu Fallbeispielen, die gemeinsam erarbeitet und
diskutiert werden. Der Vorschlag sollte 700 Wörter nicht überschreiten. Wir bitten da-
rum, die Vorschläge bis zum 31.10.2023 anDiese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. ein-
zureichen. Bei Rückfragen stehen wir unter dieser Mailadresse selbstverständlich gerne
zur Verfügung.
Die Tagung findet in den Räumlichkeiten der Universität Augsburg statt.
Marie-Christin Barleben (HU Berlin)
Charlotte Kirsch-Klingelhöffer (Univ. Heidelberg)
Matthias Simperl (Univ. Augsburg)
Wieviele Leben hat ein Text?
Neue Perspektiven auf die Überlieferungsgeschichte
antiker christlicher Schriftquellen
AK-Patristik Tagung 2024
14.-16.03.2024, Augsburg
Mit dem bewusst breit gefassten Thema der nächsten Nachwuchstagung wollen wir eine
Fragestellung in den Blick nehmen, die auf irgendeine Weise jeder Beschäftigung mit pa-
tristischen und (christentums-)geschichtlichen Quellen zugrunde liegt. Wer überliefe-
rungsgeschichtlich arbeitet, fragt nach historischen (Text-)Gestalten, Vermittlern, Inte-
ressen und Gegebenheiten, deretwegen (schriftliche) Zeugnisse aus der Antike überhaupt
auf uns gekommen sind. Überlieferungsgeschichtliche Zugänge sind deshalb mitunter dis-
ruptiv: Sie stören die Fiktion eines sauberen Textes, der sich gedruckten Ausgaben ent-
nehmen ließe, machen seine Geschichte stark, die ansonsten meist in die Einleitungen ein-
schlägiger Werkausgaben verbannt ist, rücken spätere Eingriffe in den Text aus dem kri-
tischen Apparat in den Fokus und lassen überhaupt nach Überlieferungsinteresse und -
zufall, Überlieferungsverlust und -selektivität fragen.
Die Tagung möchte dazu ermuntern, ausgehend vom eigenen Qualifikationsprojekt oder
einem anderen Forschungsvorhaben gezielt überlieferungsgeschichtlichen Perspektiven
nachzugehen. Dabei lassen sich beispielsweise folgende Fragestellungen und Aspekte in
den Blick nehmen:
1. Voraussetzungen der Überlieferung: Welche Kontexte und institutionellen Vorausset-
zungen von Überlieferungsprozessen (Bibliotheken, Archive) lassen sich – in konkre-
ten Fällen oder für bestimmte Orte und Zeitabschnitte – erschließen? Was sind die
materiellen Bedingungen der Überlieferung (material turn) und welche Praktiken lie-
gen dem Überlieferungsgeschehen zugrunde (practical turn)?
2. Fallbeispiele: An konkreten Fallbeispielen lässt sich aufzeigen, wie die Überlieferung
eines Textes methodisch verantwortet nachvollzogen werden kann. Dabei stellt sich
die Frage nach Anhaltspunkten für die Rekonstruktion älterer Überlieferungsstatio-
nen eines Textes genauso wie diejenige nach den der Überlieferung zugrunde liegen-
den Interessen und Zeitgegebenheiten. Ausgangspunkt sollte dabei jeweils ein antiker
Text sein; selbstverständlich kann jedoch die Überlieferungsgeschichte eines solchen
Textes bis hin zu seiner Edition im Fokus des Beitrags stehen. Editionsgeschichtliche
Fragestellungen selbst können in die Tagung eingebracht werden, wenn sie von be-
sonderem überlieferungsgeschichtlichem Interesse sind.
3. Sammlungen: Überlieferungsgeschichtlich nicht selten aufschlussreich ist die Frage,
mit welchen Texten ein Text zusammengestellt – und auch: aus welchen Kontexten er
wieder gelöst – wird. Dabei geraten, etwa für kirchenrechtliche Texte und Briefe, auch
gezielt zusammengestellte Sammlungen in den Blick, die ihrerseits oft eine eigene und
mitunter stark verzweigte Überlieferungsgeschichte aufweisen.
4. Übersetzungen: Übersetzungen – etwa aus dem Griechischen ins Lateinische und in
orientalische Sprachen – sind wesentlicher Teil der Überlieferung antiker christlicher
Texte. Etliche unter ihnen sind uns nur in Übersetzung erhalten. Auch hier ist nach
Vorbedingungen, Übersetzungsinteresse als Überlieferungsinteresse und Gründen für
den Werkverlust in der Ausgangssprache zu fragen. Auch stellt sich die Frage wie
Übersetzungen den Wissensbestand der Texte sowie die Zielsprache und -kultur ver-
ändert haben, etwa weil neue Sprachbilder oder Neologismen gefunden werden muss-
ten.
5. Sekundäre Kontexte und „Fälschungen“: Der Transfer von Texten in neue Kontexte
kann vielfältige Veränderungen hervorrufen. Inwiefern verfremden „sekundäre“
Überlieferungskontexte die ursprünglich mit einem Text verbundene Autoreninten-
tion? Führt die Zusammenstellung bereits vorhandener Texte in der Überlieferung zu
einer neuen Verwendung – etwa als publizistischer „Waffe“? Wie verändert sich das
überlieferte Wissen selbst durch Neukontextualisierung, Auslassung und Ergänzung?
Vor dem Hintergrund eines anderen Begriffs von Urheberschaft und Authentizität
lässt sich darüber hinaus fragen: Was passiert bei Zitaten und Anspielungen? Welche
Bedeutung kommt der Pseudepigraphie zu? Und inwiefern werden bei (antiken) „Fäl-
schungen“ überlieferungsgeschichtliche Kontexte konstruiert (etwa durch vermeint-
liche Archiv- oder Kanzleivermerke), um die vermeintliche Authentizität des Textes
zu unterstreichen?
6. Textgeschichte und Überlieferungsgeschichte: Etablierte editionsphilologische Axiome
(lectio brevior – lectio antiquior etc.) sind oft ohne Bezug zum konkreten Überliefe-
rungsbefund und zur möglichen Überlieferungsgeschichte der Textzeugen formuliert.
Deren Rekonstruktion kann mitunter textkritische Entscheidungen zusätzlich plausi-
bilisieren oder korrigieren oder sogar bisher nicht beachtete Zusammenhänge zwi-
schen Textzeugen aufzeigen. Beiträge, die das Verhältnis von Textgeschichte und
Überlieferungsgeschichte – unter Rückgriff auf Fallbeispiele – reflektieren, sind des-
halb ebenfalls erwünscht.
7. Übergeordnete Fragestellungen: In stärker synthetischen Beiträgen kann reflektiert
werden, inwiefern Überlieferungsgeschichte zur Rehabilitierung späterer Textstufen
beitragen kann, die bei der Suche nach dem „ältesten Text“ zwangsläufig unter den
Tisch fallen. Erwünscht sind außerdem Beiträge, die Überlieferungsgeschichte als Teil
einer polydimensionalen Kirchen- bzw. Christentumsgeschichte stark machen. Des
Weiteren lässt sich in einem eher theoretischen Blickwinkel nach Zusammenhängen
und Abgrenzungen zwischen Textgeschichte, Überlieferungsgeschichte und Rezepti-
onsgeschichte fragen. Schließlich sind wissenschaftsgeschichtliche Beiträge zum
Thema der Tagung willkommen.
Die Tagung soll eine strukturierte Diskussion solcher und verwandter Fragestellungen
und Forschungsansätze ermöglichen. Sie richtet sich an den patristisch interessierten
wissenschaftlichen Nachwuchs (Promotionsphase, PostDocs) – insbesondere aus Theolo-
gie, Klassischer Philologie, Alter Geschichte, der Wissenschaft vom christlichen Osten, der
Byzantinistik, der Judaistik und Arabistik sowie verwandter Fächer. Da keine gesammelte
Veröffentlichung der Beiträge geplant ist, ist die Vorstellung von Qualifikationsvorhaben
unproblematisch; außerdem darf gerne experimentiert und „out of the box“ gedacht wer-
den.
Vorgeschlagen werden können Vorträge (20 min mit anschließender Diskussion) und
Workshops (1,5 h) – letztere vor allem zu Fallbeispielen, die gemeinsam erarbeitet und
diskutiert werden. Der Vorschlag sollte 700 Wörter nicht überschreiten. Wir bitten da-
rum, die Vorschläge bis zum 31.10.2023 an
zureichen. Bei Rückfragen stehen wir unter dieser Mailadresse selbstverständlich gerne
zur Verfügung.
Die Tagung findet in den Räumlichkeiten der Universität Augsburg statt.
Marie-Christin Barleben (HU Berlin)
Charlotte Kirsch-Klingelhöffer (Univ. Heidelberg)
Matthias Simperl (Univ. Augsburg)